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Raimund Kalinowski

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Planungshinweise Flaschenabfüllung Nassteil

Ist Innovation in der Flaschenabfüllung so etwas ähnliches wie die Mode, wo Farben, Falten und Details sich ändern, aber grundsätzlich wird Tuch vernäht, um die Haut zu bedecken? Findet in der Regel eine Evolution oder eine kleine Revolution statt, bei der vorhandenes durch etwas anderes ersetzt wird und erst die Geschichte zeigt, ob das neue auch besser war?


Alle 3 bis 4 Jahre verdoppelt sich das Wissen der Menschheit. Wenn man sich einen Flaschenfüller aus dem Jahre 1960 und ein aktuelles Modell anschaut und weiß, dass das Wissen der Menschheit seit damals mindestens um den Faktor 5.000 angestiegen ist, wird man ernüchtert feststellen, dass diese gigantische Entwicklung in anderen Bereichen stattgefunden haben muss.


Zu jeder drinktec wurden epochale Innovationen vorgestellt, die meisten davon überstanden jedoch nicht den Zeitraum bis zur nächsten drinktec; aber dies ist sicherlich nicht der Grund dafür, dass der Intervall, in dem diese Messe statt findet, seit 1985 nur noch 4 statt 8 Jahre beträgt.


Gestaltung der Anfrage

Wenn man eine neue Flaschenabfüllung kaufen will, bildet die persönliche Erfahrung die Grundlage für das Gewünschte oder besser gesagt, für die qualifizierte Anfrage oder das Lastenheft. Das Lastenheft ist im Prinzip die Anfrage, in der man beschreibt was man haben will, das Angebot hingegen sollte beschreiben wie der Lieferant das im Lastenheft beschriebene umsetzen will. Häufig fehlt in der Anfrage und im Angebot das scheinbar Selbstverständliche, da es an allen bekannten Anlagen so vorhanden ist. Dies ist einer der häufigsten Fehler und führt regelmäßig zum Streit, der in der Regel durch externe Hilfe geschlichtet werden muss.


Früher waren die Maschinen einer Flaschenabfüllung rein mechanische Konstruktionen. Elektrische Steuerungen beschränkten sich primär auf Verriegelungen und Sicherheitsfunktionen. Regler wurden als separate Bauteile ausgeführt. Der Inbetriebnehmer war Maschinenbauer oder Verfahrenstechniker, der eventuell von einem Elektriker unterstützt wurde.


Ein einzelner Mensch wird sicherlich nicht das 5.000-fache Fachwissen eines Ingenieurs von 1960 in sich vereinen. Wenn man berücksichtigt, dass der heutige Ingenieur möglicherweise ein i-phone vollständig bedienen kann und gut 10% der Funktionen der Microsoft-Officesoftware beherrscht, so muss man annehmen, dass er primär über ein anderes, aber nicht unbedingt über ein mehrfaches Wissen des Ingenieurs von 1960 verfügt. Probleme, die der Ingenieur von 1960 vielleicht im Bereich von Lagern, Abdichtung oder Materialbeständigkeit hatte, sind dem heutigen Ingenieur weitgehend fremd, da er die gewünschten Funktionen in der Regel problemlos aus dem Katalog des Zulieferes auswählen kann. Für zahlreiche Berechnungen stehen Computer-Programme zur Verfügung, sodass der heutige Ingenieur bestimmte Berechnungen nicht mehr beherrschen muss. Verbesserte Fertigungsverfahren und die Verfügbarkeit korrosionsfester Materialien erlauben eine besser reinigbare Konstruktion, die in weiten Bereichen auf Schmiermittel verzichten kann. Fortschritte in der Automatisierung erlauben kostengünstige und trotzdem sehr betriebssichere Lösungen.

überschäumende Flaschen

Abb. 2 Starkes, ungleichmäßiges Überschäumen - was ist die Ursache, wer hat Schuld?


Ein Problem sind jedoch in der Regel die Schnittstellen innerhalb der Konstruktion. Statt einem Konstrukteur, der wie früher die gesamte Konstruktion überblickt, wird die Konstruktion einer Maschine heute aufgeteilt. Verfahrenstechniker und Konstrukteure der Mechanik verstehen sich meist noch relativ gut, wenn die Steuerungsabteilung hinzu kommt, fehlt jedoch häufig der Übersetzer.


Dem Kunden kann diese Problematik eigentlich gleich sein. In der Regel erwartet er eine ausgereifte Serienmaschine, die mit durchdachtem Bedienungskonzept mindestens den anerkannten Regeln der Technik entspricht. Wenn er weiter gehen will, verlangt er in seiner Anfrage und in der späteren Bestellung bzw. im Kaufvertrag eine Maschine nach dem Stand der Technik. Nach der aktuellen Maschinenrichtlinie besteht übrigens eine Abfüllanlage nicht aus selbstständigen Maschinen, die durch Transportbänder miteinander verbunden sind sondern die gesamte Abfüllanlage ist als eine Maschine anzusehen.


Verträge sind nicht dafür da einen Geschäftspartner zu übervorteilen sondern um klar zu stellen, was man erwartet und was man erwarten darf. Wenn ein Lieferant feststellt, dass er die Anfrage eines Kunden nicht vollständig umsetzen kann, sollte er so frühzeitig wie möglich den Kunden hierüber informieren. Wenn der Kunde auf seine Anfrage ein Angebot mit einer technischen Beschreibung erhält, muss er erst einmal davon ausgehen, dass seine Anfrage vollständig in das Angebot integriert wurde. Die allermeisten Streitfälle zeigen, dass der Kunde glaubt, dass zu bekommen was er angefragt hat und der Lieferant der Ansicht ist, nur das liefern zu müssen, dass er auch beschrieben hat. Um dies klar zu stellen sollte in Verträgen oder Bestellungen nicht nur die technische Beschreibung des Lieferanten sondern auch immer die qualifizierte Anfrage des Kunden mit aufgenommen werden.


Auch wenn es nicht vertraglich vereinbart wurde, darf der Kunde eine Maschine nach den anerkannten Regeln der Technik erwarten.


Nachfolgend werden einige Beispiele genannt, bei denen der Lieferant nicht nach den anerkannten Regeln der Technik geliefert hat.


Materialauswahl

Im Jahre 1960 entsprach es noch den anerkannten Regeln der Technik, Gewindebuchsen aus Bronze mit Spindeln aus Edelstahl rostfrei zu kombinieren. Bestimmte Gewindeausführungen neigen zum Fressen, wenn gleichharte Materialien miteinander arbeiten. Kein Konstrukteur wird jedoch gezwungen, diese Art von Gewinden einzuplanen. Wenn er solche Gewinde einsetzt, hindert ihn niemand daran Materialpaarungen zu verwenden, die die gewünschte Korrosionsfestigkeit und Haltbarkeit gewährleisten. Wenn man eine geeignete konstruktive Lösung für das Gewinde wählt, kann man eine Schraubverbindung fertigen, bei dem die Schraube und die Mutter aus demselben Material gefertigt werden. Der Einsatz von nicht korrosionsbeständigen Materialien ist aber auf keinen Fall technisch unvermeidbar.


Zahlreiche Kunstsoffe weisen eine hohe chemische Beständigkeit gegenüber den in der Abfüllung verwendeten Reinigungsmitteln auf. Neben untergeordneten Funktionen, wie dem Einsatz als Handgriff oder Verschlussstopfen, werden Kunststoffe in der Materialpaarung mit Edelstahl eingesetzt, um schmiermittelfrei arbeiten zu können. Häufig werden jedoch Kunststoffe eingesetzt, die nicht temperaturbeständig sind.


Wenn der Lieferant angibt, dass die eingesetzten Dichtungen z.B. bis 130°C beständig sind, erwartet der Kunde im allgemeinen auch, dass er diese Temperatur in oder an dem Bauteil erreichen darf ohne das es Schaden nimmt; wenn bereits bei 85°C die Stopfen schrumpfen und herausfallen oder bei 90° funktionelle Bauteile dauerhaft beschädigt werden, fühlt sich der Kunde als habe er es mit Schildbürgern zu tun. Die Angabe, welche Temperatur einzelne Bauteile einer Maschine widerstehen, suggeriert, dass diese Temperatur auch tatsächlich auftreten darf. Um Missverständnisse auszuschließen, sollten Betriebstemperaturen vereinbart werden. Wobei jeweils eine Betriebstemperatur einem bestimmten Betriebszustand zugeordnet werden darf. So darf für die Reinigung und Sterilisation z.B. der zulässige Betriebsdruck oder die Geschwindigkeit/Drehzahl ab einer bestimmten Temperatur eingeschränkt werden.


Bei Autos hält sich hartnäckig die Meinung, Metallicklacke wären haltbarer obwohl Nichtmetalliclacke, die seit vielen Jahren auf Wasserbasis eingesetzt werden, auch Klarlackschichten zum Schutz erhalten. Normale Lacke enthalten Farbpigmente und je nach Art des Farbpigments sind sie mehr oder weniger chemikalienbeständig. Gelbe Farbpigmente sind nicht gegen Lauge beständig. Hellrote Standardlacke werden unter Laugeneinfluss dunkelrot und grüne werden blau (Abb. 1). Selbstverständlich ist es technisch möglich auch grüne oder hellrote Lackierungen laugefest auszuführen. Die Kosten für solche Lackierungen sind jedoch häufig deutlich höher, sodass es wirtschaftlich sinnvoller sein kann, korrosionsfeste unlackierte Bauteile einzusetzen.

aus_grün_wird_blau

Neben der chemischen Beständigkeit muss auch an zu erwartende mechanische Beansprungen gedacht werden.


Schalt- und Steuereinrichtung

Ein voll-grafikfähiger Touch-Screen ist die moderne ergonomische Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine. So steht es zumindest in der Werbung der Anbieter. Ein Touch-Screen ist jedoch nur Hardware, die Funktion erhält er durch die Programmierung. Wer einen Flaschenfüller oder eine Waschmaschine kauft, glaubt in der Regel eine Serienmaschine mit Optionen, ähnlich einem Auto, zu kaufen. Die Programmierung einer solchen Serienmaschine erfolgt in der Regel durch einen einzigen Softwareingenieur, der das Pflichtenheft häufig nicht kennt. Die Ignoranz, mit der die Bedürfnisse des Betreibers häufig ignoriert werden, zeigt wie hilflos der Betreiber dem dynamischen Softwareingenieur ausgeliefert ist. Wenn sich der Betreiber an Bedienfunktionen des Flaschenfüllers von 1960 zurück sehnt, hat der Lieferant ein viel größeres Problem, als er es sich vielleicht selber eingesteht. Die häufigsten Fehler sind sicherlich: Eine unübersichtliche, unlogische Bedienstruktur in der Punkte vom Bediener ausgewählt werden müssen, die man auch leicht automatisieren könnte. Eigentlich müsste es ausreichen, wenn der Bediener das Produkt und die Packung (Flaschengröße, -form) wählt. Die anderen Parameter könnte man nach dem Stand der Technik automatisch wählen bzw. anpassen. Bei einem geringeren Automatisierungsgrad muss der Bediener die Möglichkeit haben auf äußere Einflüsse zu reagieren. D.h. er muss insbesondere die Geschwindigkeit, die Drücke des Füllers und die Druckentlastung am Ende des Füllprozesses anpassen können. Neben diesen temporären Änderungen, gibt es eine Rezeptebene und eine Ebene für Grundeinstellungen. Sinnvollerweise werden diese drei Ebenen durch drei unterschiedliche Zugriffsberechtigungen voneinander getrennt. In der Praxis benutzt der Bediener dauerhaft das "Administrator"-Kennwort, da bestimmte Funktionen, auf die er regelmäßig zugreifen muss, nicht dem Bedienerbereich zugeordnet sind. Im Bereich Grundeinstellungen muss der Betreiber Zugriff auf die Regelparameter haben. Nach den anerkannten Regeln der Technik gehört zu jedem Regler eine grafische Trendanzeige. Reglerparametereinstellungen und Trendanzeige müssen auch während des Betriebs zur Verfügung stehen.

touchscreen+taster

Abb. 3 Bedienung mit kleinem Touch Screen und Leuchttastern


Dies klingt selbstverständlich und wird doch laufend missachtet. Da werden nicht Flaschengrößen und Produkte gewechselt, sondern es muss z.B. Steuerbock S17-3 abgeschaltet und S17-4 eingeschaltet werden oder Umschaltdrücke für mehrstufige Druckentlastungen müssen in Parameterlisten unter P-E-16/7 geändert werden. In den 80-er Jahren wurde DOS als ein relativ ergonomisches Betriebssystem, das kaum maschinen- sondern sehr anwenderorientiert war, angesehen. Wenn ein windowsgewohnter PC-Nutzer einen DOS-Prompt auf seinem Computer sieht, läuft er vermutlich hilfeschreiend zum Netzwerk-Administrator. 1960 konnte der Bediener die Drücke übersichtlich ablesen und einfach einstellen und die Geschwindigkeit wurde über ein Handrad oder eine Kurbel am Verstellgetriebe eingestellt. Nach den anerkannten Regeln der Technik ist dies mit einem Touch-Screen viel einfacher und schneller möglich, wenn es richtig programmiert wurde. Für bestimmte Funktionen sind jedoch Drehknöpfe oder Taster zusätzlich zum Touch-Screen, ergonomischer.

trenddarstellung PID-Regler

Abb. 4 Regler Parametrierung mit Trenddarstellung

Die Beschreibung der Details

Eine Waschmaschine, einen Füller und Transportbänder auszusuchen ist nicht schwierig. Die Anforderungen an das Material oder an die Steuerung sind deutlich schwieriger zu beschreiben. Technische Garantiewerte gehören ebenso in einen Vertrag, wie die Konsequenzen, wenn der Vertrag nicht eingehalten wird.

Dächer über Motore

Abb. 5 Abdeck-Haube zur Verbesserung der Schutzart

Für die Abnahme sollten Bedingungen gewählt werden, die leicht an den meisten Tagen des Jahres einzuhalten sind oder geschaffen werden können. Der 45-te Breitengrad auf Meeresspiegelhöhe ist weder in Franfurt noch im Allgäu produzierbar. Die Laugeverschleppung und der Energiebedarf können z.B. an einer betriebsbereiten Flaschenwaschmaschine ohne Flaschen geprüft werden.


Nach den anerkannten Regeln der Technik wird durch geeignete Maßnahmen verhindert, dass Luft von der Restentleerung in den Bereich der sauberen Flaschen gelangen kann. Die übliche technische Lösung besteht darin, Ventilatoren zu installieren, die in der Maschine unterschiedliche Druckbereiche schaffen und dadurch die gewünschte Luft-Strömungsrichtung von sauber zu schmutzig gewährleisten.

unsaubere Maschinentischausführung

Abb. 6 Blick unter einen Maschinentisch


Häufig wird - insbesondere bei instabil stehenden Flaschen - definiert, wieviele Flaschen an der Waschmaschinenabgabe umfallen dürfen. Viel wichtiger als diese Zahl ist die Frage, ob umgefallene Flaschen zu Störungen oder sogar zu erheblichen Störungen führen dürfen?


ENZINGER CombiRex 32/6 Baujahr 1960

Abb. 9 Langrohrflaschenfüller Enzinger Combi Rex Baujahr 1960

Im Bereich der Innenspritzung sollten sich eigentlich keine Etiketten mehr finden lassen. Häufig wird die maximal erlaubte Anzahl der Etiketten festgelegt, die die Waschmaschine an der Flaschenabgabe verlassen darf. Ein Wert von max. 1% ist extrem hoch und wird auch von einer Baele aus dem Jahre 1960 problemlos erfüllt.

riefen in Edelstahl

Abb. 7 Fertigungsqualität: Ungleichmäßiges Schliffbild /Riefen


Zum einen sind vagabundierende Etiketten unschön und müssen manuell entfernt werden, zum anderen können sie Störungen verursachen, z.B. können sie vor Lichtschranken oder im Leerflascheninspektor abfallen und zu Störungen führen. In der Waschmaschine können sie die Innenspritzung behindern und die Anzahl der nicht laugefreien Flaschen erhöhen.


Üblicherweise werden nur Bauteile und Maschinen im Angebot und im Vertrag detailiert beschrieben. Perfekt ausgelegte Regelventile nützen jedoch wenig, wenn sie falsch parametriert sind. Ein guter Programmierer muss nicht zwangsläufig über die Kenntnisse eines Mess- und Regelungstechnikers verfügen. Häufig ist im Inbetriebnahmeteam niemand vertreten, der fähig ist, die erforderlichen Justierungen in einer Qualität durchzuführen, die der, der ausgewählten Hardwarekomponenten entspricht.

nicht entgratet

Abb. 8 Fertigungsqualität: Nicht entgratet

Wie kann man es vermeiden, dass man Monate oder sogar Jahre mit unzureichenden Anlagen arbeiten muss, bis z.B. als Folge eines Rechtsstreites die Mängel beseitigt werden? Zum einen sollte man Funktionen detailliert beschreiben. Um bei der Bedienung der Maschinen keine Überraschung zu erleben, kann man eine Muster-Bedienungsanleitung mit dem Angebot anfordern und genauso wie die Beschreibung der Maschinenkomponenten verhandeln und mit in den Vertrag aufnehmen.


Vorteilhaft ist es immer einen Vertrag mit einer Präambel zu beginnen. In den kaufmännischen Bedingungen sollte fair festgelegt werden, was passieren soll, wenn einzelne Vertragspunkte nicht erfüllt werden. Die Vereinbarung über eine Gütestellenverhandlung löst zunehmend die Gutachterabrede ab. Wie bei einer Eheschließung herrscht zunächst Einigkeit. Ein guter Ehevertrag legt fest, was im Falle einer Scheidung geschehen soll. Wenn man eine neue Anlage kauft sind meist weniger Emotionen im Spiel als bei einer Eheschließung, somit gibt es keinen Grund nicht vorher festzulegen, was im nicht gewollten und auch nicht erwarteten Fall geschehen soll.


Wenn ein externer Berater hilft auch nur einen einzigen Fehler zu vermeiden, ist die Einsparung meist höher als sein Honorar.


 


© 2007 by Raimund Kalinowski