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Wieviel  Steuerung verträgt der Mensch?
Schalt-  und Steuerungsanlagen werden stetig weiterentwickelt – bleibt  dieser Fortschritt immer beherrschbar?                
  
  Neben  Kochshows erfreuen sich Ratgeber besonders auch im öffentlich  rechtlichen Fernsehen großer Beliebtheit. Ob die Weisheiten von  einer Hauswirtschaftsmeisterin, einem Kabarettisten, Schauspieler  oder Journalisten stammen, ist nebensächlich, der Entertainer  bestimmt was gesund ist, wo man seine Vollkornbrote kaufen oder  welches Auto man fahren sollte. Um es uns einfach zu machen wird mit  Punkten oder bunten Symbolen „bewertet“, zwei Meter mehr Bremsweg  können so durch eine Metalliclackierung ohne Aufpreis ausgeglichen  werden. Als Saab den 900 in 93 umbenannte,  war die für den Kunden größte Änderung die vordere Sitzreihe. Um  möglichst viele Punkte in den Bewertungssystemen zu bekommen, wurde  das Gestühl auf das Maß von grinsenden Testern und Normmenschen  geschrumpft.
Es  ist leichter solchen Ratgebern zu folgen, als selbst eine Frage zu  formulieren und zu analysieren. Der Fortschritt kann nicht  aufgehalten werden, aber wenn das Smartphonenachfolgemodell als  wichtigste Änderung einen neuen Namen sowie einen nicht mehr  austauschbaren Akku und fehlenden Feuchtigkeitsschutz aufweist, dann  zwängt sich die Frage des Nutzens durch diesen Fortschritt auf.
Die  Entwicklung der Automatisierung lief in Deutschland mit anderer Hard-  und Software als z.B. in Japan oder in Amerika. Um den Rahmen nicht  zu sprengen, wird hier primär die Entwicklung in Deutschland mit  SIEMENS-Hardware betrachtet.
Entwicklung
Bevor  sich die Schützensteuerung durchsetzte, waren Steuerungen fast rein  mechanisch oder pneumatisch. 
Der  Stromlaufplan der Schützensteuerung ist das R+I Schema des  Elektrotechnikers, nur das in den Leitungen Strom fließt. Auch ein  Nichtelektriker kann nach kurzer Einweisung einen Stromlaufplan  lesen. 
Zeitrelais  in Art einer Eieruhr (Abb. 4) zur Steuerung der CIP-Zeiten waren auch  von Analphabeten „programmier“‑bar und Regler waren sparsam  verwendete teure Hardwarebausteine mit wenigen Einstell-„Schrauben“.  Wenn möglich, wurde auf diese Regler zu Gunsten elektromechanischer,  hydraulischer oder pneumatischer Lösungen verzichtet. Das  „Taylorgerät“, das viele Jahre lang für den korrekten  CO2-Gehalt am Premixer sorgte, stellte den damaligen Stand  der Technik dar. Als in den 1970-er Jahren es die ersten  speicherprogrammierbaren Steuerungen [SPS] in Maschinen- und  Anlagensteuerungen schafften, wurden Elektromeister auf einwöchige  S3-Schulungen geschickt, um z.B. einmal eine Prozess-Zeit verändern  zu können ohne einen Programmierer bestellen zu müssen. Häufig  trauten sie sich dies jedoch trotz Schulung nicht zu. Um z.B. die  Rührzeit oder ‑geschwindigkeit einfach verändern zu können,  hatten gute Programmierer deshalb Parameterlisten angelegt, sodass  man die Variablen nicht mehr in den Tiefen des Programms suchen  musste. Erst mit der S5 führte Siemens 1979 eine recht zuverlässige  und im Vergleich zur S3 extrem komfortabel programmierbare SPS ein.
Manche  erinnern sich, der PC gehörte 1984 ‑ fünf Jahre nach  Vorstellung der S5 ‑ noch nicht zur  Standardbüroeinrichtung und kostete mit kleinem Monochrom-Bildschirm  so viel wie ein fabrikneuer VW Golf. PC liefen mit dem Betriebssystem  DOS von Microsoft oder Digital Research und es gab weder WYSIWYG noch  irgendwelche grafischen Elemente, sondern einen DOS-prompt (Abb. 1).  D.h. Maschinen und Anlagen die von einer SPS gesteuert wurden, hatten  weiterhin Fließbilder mit Leuchttastern auf der Schaltschranktür  und unterschieden sich in der Anwender-Bedienung kaum von einer  Schützensteuerung. Um die Bedienung zu vereinfachen, kombinierten  einige Lieferanten die beliebten mechanischen Zeitrelais mit einer  SPS. Erst als Visualisierungen mit grafischen Oberflächen eingeführt  wurden, ersetzten die Bildschirme die Leuchttaster. Anfang der  1990-er wurde die Leittechnik eingeführt. Jeder Prozessbaustein  wurde nun zentral verwaltet. Die „Intelligenz“ befand sich nicht  mehr in der SPS, sondern im PC. Da die Leittechnik häufig teurer  verkauft wird, als eine SPS-Programmierung mit  Visualisierungssoftware, konkurrieren heute beide Systeme  miteinander.
Visualisierungssoftware  und die Software eines Leitsystems sind Anwenderprogramme, die häufig  auf einem PC mit Windows-Software laufen. In der Vergangenheit  passierte es, dass alte Windowsversionen auf aktueller Hardware nicht  mehr funktionsfähig waren, sodass ein PC mit 80386 Prozessor auf  einmal richtig wertvoll war, da die Visualisierungs- oder  Leitsystemsoftware eine alte, mit moderner Hardware nicht mehr  kompatible Windowsversion verlangte. 
Bei  Maschinen oder Kleinanlagen werden seit über 20 Jahren Bedienfelder  [Operator Panel], die manchmal mit einer SPS kombiniert sind (Abb. 2)  eingesetzt.
Motivationsgrundlagen
Die  Leittechnik und die allgemeine Entwicklung dorthin bietet  überzeugende Argumente: Durchdachte, vollständig ausgetestete,  perfekt programmierte Bausteine werden verwendet, um eine optimale  Steuerung zusammen zu setzen. Individuelle, „künstlerisch  wertvolle“ Lösungen, die unzureichend dokumentiert und nur mit  erheblichem Aufwand zu pflegen sind, gehören endgültig der  Vergangenheit an. Durch den modularen Aufbau wird hochqualifizierte  Programmierarbeit nur bei der Erstellung der Funktionsbausteine  benötigt und deshalb können Verfahrenstechniker mit praktischer  Erfahrung (!) durch eine Weiterbildung zum idealen Programmierer  werden. 
Für  die Bedienung und Parametrierung stehen sehr komfortable  Schnittstellen zur Verfügung, sodass jeder Verfahrenstechniker ohne  fremde Hilfe vor Ort in der Lage ist, die Steuerung der Prozesse  seinen Wünschen einfach anzupassen.
Wunsch  ./. Wirklichkeit
Neben  der komfortablen Parametrierung und Bedienung sollte durch die  standardisierten Module eigentlich ein Kosten- und Lieferzeitvorteil  entstehen. Da der Aufwand zur Erstellung einzelner Bausteine  erheblich ist ‑ eine bekannte Steuerungs-Firma  veranschlagt z.B. im Mittel 80 Arbeitsstunden zur Erstellung eines  einzigen Leitsystem-Bausteins ‑ müssen diese Bausteine  entsprechend häufig und lange verwendet werden, bis die  Entwicklungskosten bezahlt sind. Die „Baustein“-Entwickler denken  in der Regel als Elektriker; es ist für sie unerheblich ob eine  Pumpe oder ein Ventilator eingeschaltet werden soll, entsprechend  „liebevoll“ wird die grafische Gestaltung häufig durchgeführt.  Nach dem Motto: „Wer zuerst kommt, wird zuerst bedient“ werden  manchmal exotisch anmutende, nicht normgerechte und nicht  selbsterklärende Symbole dauerhaft implementiert. Da die Bausteine  alle in der Praxis vorkommenden Anforderungen abdecken sollen, sind  sie sehr komplex und der Inhalt und die Strukturierung des  Anwenderinterfaces sind für Verfahrenstechniker häufig nicht  logisch nachvollziehbar. Wenn es zur Änderung eines Regelparameters  (Abb. 3) fünf verschiedene Anleitungen ‑ je nach  Softwarestand ‑ gibt, dann sind mindestens vier Versionen  dieses Bausteins nicht optimal durchdacht gewesen. Wenn dann noch  weite Bereiche in „english for runaways“ beschriftet werden,  bekommt das Leitsystem zu Recht praktische Akzeptanzprobleme.
Bauteile,  die nicht angesteuert werden, sind für Steuerungsleute vollkommen  uninteressant und werden deshalb häufig nur widerwillig in die  Visualisierung übernommen. Wenn in der Schaltwarte ein ausgedrucktes  R+I Schema hängt, da die Visualisierung dem Bediener bestimmte  Informationen nicht bietet, dann wurde der Lieferumfang mit  ziemlicher Sicherheit bei den Auftragsverhandlungen nicht in der  erforderlichen Tiefe besprochen.
Allgemein  anerkannte Regeln?
Zur  Zeit der Schützensteuerung wurde grundsätzlich der  Motorschutzschalter überwacht. Inbetriebnehmer wünschten sich  zusätzlich die Überwachung der Schmelzsicherungen, da sich diese  regelmäßig in der Hosentasche des Arbeiters befanden, der sie zum  Eigenschutz herausgeschraubt hatte. Die Überwachung der  Schmelzsicherung war jedoch aufwändig und wurde selten  implementiert. Später gab es Motorschutzschalter mit integrierten  Sicherungen, die entsprechend einfach überwacht werden konnten.  Heute kommt es regelmäßig vor, dass eine ausgefallene Pumpe als  laufend visualisiert wird, weil der Motorschutzschalter nicht  überwacht wird. 
So  wie früher mit einem kurzen Kabel eine Brücke gelegt wurde, damit  trotz eines mechanischen Fehlers weiter produziert werden konnte,  wird heute das Bauteil komfortabel mit der Software „gebrückt“.  Da es selten durchdachte und praktikable Berechtigungssysteme gibt,  sind Supervisor-Kennwörter für den normalen geregelten Betrieb  erforderlich und ermöglichen dadurch auch, dass nicht akzeptable  Zustände auf einmal zum Normalbetrieb gehören.
Aus  Zeitmangel und Kosteneinsparungsgründen werden weder Lastenheft noch    Verfahrensbeschreibungen erstellt. Vorgaben werden von  Steuerungsleuten nicht verstanden und deshalb nicht korrekt umgesetzt  und die Dokumentation der Steuerung ist mit vertretbarem Aufwand  unüberprüfbar. Steuerungsleute machen grundsätzlich keine Fehler,  sondern setzen nur fehlerhafte Vorgaben um.
Wenn  man hört, dass beim KKW Fukushima ein Notkühlkreislauf installiert  war, der auch ohne Pumpen, einfach durch die Dimensionierung und  Anordnung der Bauteile eine Notkühlung aufrecht erhalten konnte,  dass aber beim totalen Stromausfall ein Ventil in die  „Sicherheitsstellung geschlossen“ fuhr und dadurch den  Notkühlkreislauf abschaltete, drängt sich die Frage auf: Wäre die  „Sicherheitsstellung offen“ nicht sinnvoller gewesen? Gerade bei  automatisierten Prozessen ist es erforderlich die Ruhestellung bei  Energieausfall oder das Verhalten bei Not-Aus sorgfältig  auszuwählen. Alles sofort „Aus und Zu“ widerspricht den  allgemein anerkannten Regeln der Technik, da es eine äußerst  riskante und gefährliche Lösung nicht nur im KKW ist. Federöffnend  als Ruhestellung von Ventilen in Rohrleitungen ist meist sinnvoll, so  wie Endlagenrückmeldungen als Öffner ausgeführt, häufig Vorteile  bieten.
Programmierer  zerlegen ein Programm in überschaubare Schrittketten. Das führt  regelmäßig dazu, dass am Ende einer Schrittkette eine Pumpe  ausgeschaltet wird, um beim unmittelbar folgendem Start der folgenden  Schrittkette sofort wieder eingeschaltet zu werden. Dazwischen werden  noch die „Startbedingungen überprüft“, sodass der Start der  folgenden Schrittkette manchmal z.B. nicht erfolgt, weil der  Schlosser gerade den Antrieb eines Rührwerksmotors wechselt, der bei  dem gerade produzierten Produkt gar nicht benötigt wird.
Feldgeräte
Mess-  und Regelungstechniker waren früher das Bindeglied zwischen  Maschinenbauer und Steuerungstechniker. Die Auswerteelektronik ist  heute in der Regel Bestandteil des Messwertaufnehmers, sodass die  Steuerung entweder ein 4...20mA Signal oder umfangreiche  Informationen über einen Datenbus erhält. Die Feldgeräte, die in  der Anlage eingebaut werden, wählt der Auftragsabwickler aus, der  hierfür häufig als Maschinenbauer oder Verfahrenstechniker nicht  ausreichend qualifiziert ist. 
Die  häufigsten Fehler findet man bei der Auswahl von Füllstands- und  bei Druckmessungen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen werden  Absolutdruckmessungen (evtl. in Ergänzung mit einer Messung des  atmosphärischen Drucks) benötigt. Vom Absolutdruck den mittleren  Luftdruck abzuziehen, damit der Bediener einen „verständlicheren“  Wert angezeigt bekommt, ist nicht nur für Bediener verwirrend, denn  wenn auf einmal Negativwerte angezeigt werden oder in drucklosen  Tanks ein Überdruck angezeigt wird ist dies falsch.
Unterschiedliche  Medien haben unterschiedliche Dielektrizitätskonstanten, sodass  kapazitive Füllstandssonden nur in dem Produkt richtig anzeigen, mit  dem sie kalibriert wurden. Ferner erschweren Einbauten grundsätzlich  die Reinigung.
Fazit
Die  Festlegung der Ruhestellung von Ventilen, Ausführung von  Endlagenrückmeldungen und Verriegelungen und die Auswahl und  Ausführung der Feldgeräte dürfen weder dem Anlagenbauer noch dem  Steuerungsanlagenbauer überlassen werden. Wenn eine automatische  Steuerung nicht mindestens das leistet, das ein gut ausgebildeter  motivierter Facharbeiter leisten kann, sollte das nicht akzeptiert  werden. Eine Bedienungsanleitung sollte auch beschreiben, wie man  z.B. einen Regelparameter ändert. Unglücklicherweise können auch  Selbstverständlichkeiten nicht immer vorausgesetzt werden, sodass  der Anlagenbetreiber vor Auftragsvergabe ein gut ausformuliertes  Lastenheft, das auch Vertragsbestandteil wird, erstellen muss.
 Abb.  1 Schaltschrank mit Schützensteuerung
Abb.  1 Schaltschrank mit Schützensteuerung
                  Abb. 2 Zeitrelais
Abb. 2 Zeitrelais
                 Abb.  3 übliche Darstellung hochwertiger monochrom Bildschirm
Abb.  3 übliche Darstellung hochwertiger monochrom Bildschirm
                 Abb.  4 Siemens C 7-621 Komplettgerät in Kombination mit Fließbild
Abb.  4 Siemens C 7-621 Komplettgerät in Kombination mit Fließbild
                 Abb.  5 „typische“ Reglerparametrierung - Leitsystem
Abb.  5 „typische“ Reglerparametrierung - Leitsystem
                 
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