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Raimund Kalinowski

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Hygienische Konstruktionen (hygienic design)

Haben einige den Bezug zur Realität verloren?

Hygieia, Göttin der Gesundheit stand Pate für den Begriff Hygiene

Dort sind neue Nachbarn eingezogen, sie haben auf dem Balkon - nach offensichtlich festgelegten Rieten - ein Schaf geschlachtet, der Gestank und diese „Musik“ sind einfach ekelerregend.

Der neue Mitarbeiter wird dabei erwischt, wie er sein Geschäft im betriebseigenen, parkähnlichem Garten verrichtet. Er weigert sich die Betriebstoilette aufzusuchen, da er es als unhygienisch empfindet, sich auf eine Klobrille zu setzen, auf der vorher schon jemand anderer saß.

„Ob Hotel, Restaurant oder Toilette: In vielen Urlaubsländern ist die Hygiene nicht immer perfekt“, leitete der Spiegel in diesem Sommer einen Artikel ein.

Ein verantwortlicher Mitarbeiter, einer von der EHEDG (European Hygienic Engineering & Design Group) akkreditierten Organisation, behauptete noch vor wenigen Wochen, dass ein Scheibenventil nach den EHEDG Richtlinien nicht zertifiziert werden kann, da es nicht hygienisch sei.

Hier irrte der Kollege, denn zu diesem Zeitpunkt gab es bereits ein nach EHEDG zertifiziertes Scheibenventil.

Offensichtlich haben selbst Fachleute häufig nur eine nebulöse Vorstellung davon, was Hygiene bedeutet.

Spontan kommen häufig Erklärungsversuche wie, Keimfreiheit oder Reinigbarkeit. Wie will man aber mit solchen Definitionen z.B. Schlafhygiene, Strahlenhygiene oder politische Hygiene erklären?

Das Wort Hygiene wurde abgeleitet von der griechischen Göttin Hygéia, der Göttin der Gesundheit. Unter Hygiene versteht man heute alles, was der Gesundheit und dem Wohlbefinden im weitesten Sinne dienlich ist. Umgekehrt wird als unhygienisch eingestuft, was unser Wohlbefinden oder unsere Gesundheit stört. Keime stören das Wohlbefinden im Allgemeinen nur, wenn sie eine Krankheit auslösen oder zum Beispiel wenn sie sichtbar an Wänden oder auf Lebensmitteln wachsen.

Lärm, Gerüche oder Zugluft stören viel häufiger das Wohlbefinden, kommen aber den meisten Menschen bei hygienischen Anforderungen kaum in den Sinn.

Wie bei so vielen Dingen versucht man Hygiene objektiv messbar zu machen. Dies ist jedoch nicht möglich, da es mit den subjektiven Wertevorstellungen eines jeden einzelnen zu tun hat. Das heißt für einen gläubigen Juden bedeutet eine hygienisch einwandfreie Speisenzubereitung zwingend eine koschere Speisenzubereitung.

Hygienische Anforderungen unterscheiden sich aus Sicht ein und derselben Person. Zum Beispiel wird man bei einem pharmazeutischen Unternehmen, einem Lebensmittelbetrieb oder bei der bäuerlichen Ernte vollkommen unterschiedliche Erwartungen bezüglich der Hygiene haben. Getreide, das auf dem Feld monatelang Einflüssen von Autoreifenabrieb bis hin zu Vogelkot ausgesetzt war, wird man ohne Bedenken auf offenen Anhängern transportieren, Probierhappen im Supermarkt, die auf der Theke stehend dem Einfluss z.B. hustender Kunden ausgesetzt sind, werden hier bereits als hygienisch problematisch eingestuft.

Wasserdruckminderer zum Ausschieben von Produkt, ungeeignete Ausführung unfachmännisch montiert

Auch innerhalb von Lebensmittelbetrieben sind die Vorstellungen abgestuft. Niemand würde in einem Schlachthof ähnliche Verhältnisse wie in einer Eiskremfabrik erwarten.

Aseptik bedeutet eigentlich Keimfreiheit [Sepsis griech. Fäulnis]. Aseptik wird von vielen als eine edlere Art der Hygiene angesehen. Aseptisches Arbeiten mag für einen Mediziner eine Steigerung von hygienischem Arbeiten sein, in der Lebensmittel- und Getränkeindustrie sind dies jedoch vollkommen andere Anforderungen.

Ein ganz wichtiger Aspekt der Hygiene ist der Ekel, der bei der Definition der Aseptik nicht vorkommt. Sicherlich gibt es Personen, die sich während des Abendessens die aseptisch durchgeführte Schönheitsoperation in Farbe und Großaufnahme ansehen. Den meisten vergeht jedoch dabei der Appetit, da sie sich ekeln.

Was hygienisch oder unhygienisch ist hat somit sehr stark vom jeweiligen Kulturkreis mit entsprechenden Wertevorstellungen eines jeden einzelnen Individuums zu tun.

In Japan ekeln sich Leute vor den Bakterienleichen, die nach der Pasteurisierung in Getränken verbleiben. Für diese Leute ist nur eine entsprechende Filtration hygienisch akzeptabel.

Hygienisch einwandfrei - im wahrsten Sinne des Wortes - zu arbeiten, bedeutet die Erwartungen von Mitarbeitern und Kunden soweit dies technisch und wirtschaftlich möglich ist, umzusetzen. Der Aspekt, das krankmachende Stoffe oder Keime, die vorgeschriebenen Grenzwerte nicht überschreiten dürfen, bleibt davon unberührt. Die Einhaltung dieser Grenzwerte ist im allgemeinen auch mit wenig hygienisch anmutenden Maßnahmen zu erfüllen.

So, wie krankmachende Keime in einem Labor der Getränkeindustrie nicht vermehrt werden dürfen und deshalb ungefährliche Indikatorkeime gesucht werden, so haben einige Hygienemaßnahmen einen vergleichbaren Indikationscharakter.

So schließt mancher Zeitgenosse von dem Zustand der sanitären Einrichtungen einer Gaststätte direkt auf die Hygiene in der Küche.

Die als Schiffchen bezeichnete weiße Kopfbedeckung des Eisverkäufers dient einzig und allein dem gleichen Zweck, da sie nicht dazu geeignet ist, z.B. Haare oder Schuppen davon abzuhalten auf das Eis zu fallen, ist sie, da sie mindestens täglich gewechselt werden muss um sauber zu erscheinen, sehr gut dazu geeignet ein bestimmtes Maß an Sauberkeit zu demonstrieren.

Die EHEDG erarbeitet Richtlinien und Empfehlungen für hygienisch einwandfreie Konstruktionen und Ausführungen. Von der EHEDG akkreditierte Organisationen führen entsprechende Prüfungen durch und zertifizieren Bauteile, so dass sie das EHEDG-Logo werbetechnisch nutzen dürfen. Die EHEDG leistet hier hervorragende Arbeit, wenn auch die praktische Prüfung am Bauteil ursprünglich nicht vorgesehen war und heute nicht unumstritten ist. Die EHEDG ist teilweise gezwungen recht abstrakte Formulierungen zu wählen damit Bauteile, die sich seit Jahren in der hygienischen Lebensmittel- und Getränkeindustrie im Produktbereich bewährt haben, nicht auf einmal ausgeschlossen werden. Diese Formulierungen lassen - ähnlich wie Gesetzestexte - einen gewissen Interpretationsspielraum. Die EHEDG beschäftigt sich ferner nur mit einem kleinen Bereich der Hygiene. Die Reinigungsfähigkeit und Betriebssicherheit steht klar im Vordergrund.

Einige Aspekte der Hygiene wie z.B. die Ergonomie werden von der EHEDG nicht betrachtet. Sie sind aber äußerst wichtig, wenn man die Hygiene nicht zu einer Wissenschaft der Reinigungsfähigkeit degradieren will.

Hygienic design sollte deshalb nicht auf einzelne Bauteile angewandt sondern immer im Ganzen betrachtet werden.

Die Frage, ob ein Industriekugelhahn hygienisch einwandfrei ist, darf man deshalb nicht pauschal verneinen. Es kommt darauf an, wo und wofür er eingesetzt wird. Wenn er das Absperrorgan zwischen Wasserleitung und schlauch darstellt, wird ihn kaum jemand aus hygienischen sondern eher aus technischen Gründen dort nicht einsetzen wollen. Auch wenn Schläuche nach Möglichkeit vermieden werden sollten, sind sie zum Anschluss von Tankwagen oder Großcontainern erforderlich. Um einen Fußboden zu reinigen, damit ein hygienisch einwandfreies Produktionsumfeld geschaffen wird, ist ein Wasserschlauch unentbehrlich. Als Absperrorgan für Produkt hingegen ist der Industriekugelhahn, wegen seiner ungenügenden Reinigungsfähigkeit, als unhygienisch abzulehnen.

UV-Sterilisation mit unhygienischen Flanschverbindungen und unhygienischem Industriekugelhahn

Ergonomie ist im wesentlichen die Verbindung zwischen Mensch und Maschine. Da eine unbefriedigende Ergonomie sehr nachhaltig das Wohlbefinden stören und sogar krank machen kann, ist sie unzweifelhaft ein wichtiger Teil der Hygiene. Die Zugänglichkeit für die Bedienung und Wartung fallen einem hier zuerst ein. Farbliche Gestaltung, Beleuchtung, Geräusche, Vibrationen, Wartungs- und Betriebsanleitungen (!) oder die Gestaltung der Software einer Maschine oder Anlage werden zunächst vergessen.

Eine Konstruktion, die diese Aspekte nicht berücksichtigt wird möglicherweise rein zufällig hygienisch sein. Aus eigener Erfahrung weiß man, dass dies jedoch leider sehr selten der Fall ist. Erst wenn man sich diese Zusammenhänge bewusst macht, kann man die hygienische Gestaltung von Maschinen und Anlagen bewerten. Das was von einigen Anlagenbauern als Dokumentation geliefert und von Getränkebetrieben akzeptiert wird ist aus hygienischer Sicht ähnlich schlimm, wie eine mangelnde Reinigungsfähigkeit.

Eine ausreichend helle, blendfreie Beleuchtung mit bewusst gewählter Farbtemperatur ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für einen hygienischen Betrieb. Die Leuchtquelle selbst sollte möglichst großflächig sein, um harte Schatten zu vermeiden.

Möglicherweise haben einige schon einmal im Frankfurter Flughafen den Fluggasttunnel, das ist die Verbindung im Terminal 1 zwischen Bereich A und Bereich B (Verbindung des nationalen zum internationalen Bereich), benutzt?

Dies ist ein relativ langer, schmaler und niedriger Tunnel mit einem Laufband an jeder Seite und einem Gang in der Mitte. Das besondere an diesem Tunnel sind jedoch
· die ungewöhnliche Beleuchtung und
· die leise „Musik“
Die Farbtemperatur und Intensität ändern sich abschnittsweise und zwar gleichzeitig zu sehr leisen, melodischen Geräusche. Das Ziel war, den relativen langen Weg interessanter und damit kurzweiliger zu gestalten. Die Initiatoren hatten nicht die Absicht das Wohlbefinden der Nutzer negativ zu beeinflussen. Die Geräusche und die Beleuchtung sind jedoch so fremdartig, dass sich beim Benutzer des Tunnels eher eine Orientierungslosigkeit mit gewissen - nicht unbedingt ins Bewusstsein vordringenden - Ängsten einstellt. Angst und Orientierungslosigkeit mögen für den einen oder anderen eine gewisse Abwechslung darstellen, sind aber aus hygienischer Sicht dafür keine geeigneten Maßnahmen. Volkswagen hat vor Jahren eine blaue Instrumentenbeleuchtung eingeführt und hält an diesem ergonomischen Unsinn ähnlich störrisch fest wie BMW am i-drive.

Wenn man bei der Internetsuchmaschine Google das Wort „Farbpsychologie“ eingibt, erhält man ungefähr 32.900 Treffer.

Sofern Bauteile nicht komplett aus Edelstahl gefertigt sind, wählen viele Firmen den Farbanstrich nach ihren eigenen Hausfarben aus. Diese Hausfarben haben jedoch äußerst selten das Ziel eine ergonomisch günstige Arbeitsumgebung zu schaffen.

Erst wenn man sich und dem Lieferanten dies bewusst macht, kann man es möglicherweise ändern; denn Farben haben nachweislich einen sehr starken Einfluss auf das Wohlbefinden und sollten nicht primär dazu dienen ein Bauteil einem bestimmtes Lieferanten zuordnen zu können.

Wenn man nun zur Bewertung einer technischen Lösung aus hygienischer Sicht folgende Fragen stellt:
§ Ist diese Lösung für das Wohlbefinden des Menschen positiv?
§ Gibt es bessere, wirtschaftlich vertretbare Lösungen?
Wird man zum einen feststellen, das gute Lösungen nicht zwangsläufig die teuersten und aufwendigsten sein müssen und dass es fast immer Verbesserungsmöglichkeiten gibt.

Sicherlich sind im Lauf der Jahre die hygienischen Anforderungen entsprechend geänderter Wertenormen gestiegen. So ist ein mit Flachdichtung oder Teflonband in eine Muffe eingeschraubtes Probenahmeventil für den Produkt- oder CIP-Bereich heute nicht mehr akzeptabel. Es muss aber auch nicht gleich ein aseptisches Probenahmeventil zur Entnahme mikrobiologisch unkritischer Proben eingesetzt werden. Geeignete Probenahmeventile werden bevorzugt eingeschweißt. Eine zum Produktraum hin frontbündige Abdichtung, mit metallischem Anschlag, um einen definierten Dichtungsraum mit definierter Dichtungsvorspannung zu erreichen in Verbindung mit einer Leckagebohrung, die anzeigt wenn die Dichtung defekt ist, ist ebenfalls akzeptabel

Skizze, einfache, hygienische Montagemöglichkeit eines Probenahmeventils

Einwandfrei ausgeführte Schweißverbindungen sind die beste und dauerhafteste Verbindung. Selbst Pumpengehäuse können in die Rohrleitung fest eingeschweißt werden, wenn die Wartung dadurch nicht beeinträchtigt wird. Leider ist die Qualität der Schweißnähte häufig nicht befriedigend und führt häufig zum Streit darüber, was hygienisch akzeptabel ist. Schweißfachingenieure der technischen Überwachungsvereine haben teilweise Vorstellungen von fachmännisch ausgeführten Schweißnähten, die eher an den Schiffbau als an Lebensmittelbetriebe erinnern. Die einschlägigen Normen sind ebenfalls nur sehr bedingt geeignet eine hygienisch einwandfreie Schweißverbindung zu definieren. Es kann deshalb nur empfohlen werden, sich Grenzmuster anzuschaffen, und diese Grenzmuster vertraglich einzubinden.

Vereinigung mehrerer Fehler in einer Schweißnaht

Auf lösbare Rohrverbindungen sollte soweit wie möglich verzichtet werden. Magnetisch induktive Durchflussmesser vom Marktführer können z.B. in Einschweißausführung trotzdem demontiert werden, da nur ein zum Lieferumfang gehörendes Flanschpaar eingeschweißt wird. Rückschlagventile sollten prinzipiell als hygienische Zwischenflanschausführung eingesetzt werden, die übrigens, wenn man die Gegenverschraubungen berücksichtigt, häufig preisgünstiger ist, als die Ausführung mit Gewindestutzen nach DIN 11851. Rohrverbindungen gemäß der Aseptiknorm DIN 11864 werden nun auch in einer Lebensmittelvariante gemäß DIN 11853 mit kurzen Stutzen gefertigt. Der Preisunterschied zur Verschraubung nach DIN 11851 ist so gering, dass die Vorteile, wie Zentrierung und metallischer Anschlag den Mehrpreis mehr als aufwiegen.

Unhygienische Montage eines Probenahmeventils mit Flachdichtung

Durch den Besuch von Tagungen und Messen sind sehr viele der Meinung, Berater oder technische Revisoren nicht mehr zu benötigen. Lieferanten und Anwendungsberater liefern die Beratung scheinbar kostenlos mit.

Wenn man jedoch kürzlich ausgeführte Anlagen auf den Prüfstand stellt, stellt man meist fest, dass man eine bessere und somit auch häufig wirtschaftlichere Lösung für vergleichbare Investitionskosten hätte installieren können.

Wenn ein Hersteller reinigungs- und sterilisierbare Armaturen, Apparate, Maschinen oder Anlagen herstellt, sollte er sie auch so benennen, denn Hygiene umfasst etwas anderes. In bestimmten Bereichen wie der Ergonomie, meist deutlich mehr und wenn es um die Keimfreiheit oder Sterilisierbarkeit geht, häufig wesentlich weniger.




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© 2006 by Raimund Kalinowski