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Raimund Kalinowski

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Bierinnovationen

Politiker sind relativ leicht zu begeistern, selbst bei kleinen Versprechern eines Angehörigen einer anderen Partei, verfallen sie häufig in euphorisches Applaudieren, vermischt mit albernen Lachern. Selbst kleinste und - bei näherer Betrachtung - vollkommen unsinnige Ideen, werden mit einem wahnwitzig anmutenden PR- und Marketingaufwand umgesetzt. Brauereien könnten hier neidisch werden.

Das Wort innovativ wird von den für Brauereien tätigen Werbeagenturen ähnlich stark strapaziert wie der Begriff „Premium“.

Vermutlich wird kaum jemand die Biermarke wechseln, weil man den innovativen Kronenkorken mit garantiert einem Zacken mehr als üblich auf den Markt bringt. Durch die inflationäre Benutzung von Reizwörtern wie „neu“ oder „innovativ“ stumpft die Reaktion, des mit Reizen überfluteten, Verbrauchers immer mehr ab.

Bedeutet dies, dass der Verbraucher gegenüber allem Neuen nun wirklich immun ist?

Ganz im Gegenteil, er ist ständig auf der Suche nach wirklich Neuem. Wenn aber ein Anbieter ihn mehrfach belogen und betrogen hat, wird dieser Anbieter es sehr schwer haben, den Verbraucher von einer wirklichen Innovation zu überzeugen. Vertrauen aufzubauen sollte ein Hauptziel eines Markenartiklers sein, denn was drückt den Wert einer Marke besser aus, als das Vertrauen der Konsumenten in genau diese Marke.

Wenn Produkte, Marketingaussagen und Verpackungen austauschbar sind, wird der Kunde sie auch austauschen.

Die Braukunst orientiert sich - ähnlich wie die gestaltende Kunst - nicht unbedingt daran was gefällt sondern daran was möglichst schwierig herzustellen ist. So haben selbst kleine, regionale Brauereien gemeint, ihr Produkt den überregionalen Großbrauereien anpassen zu müssen.

Der Handel fordert das Bier zu einer Dauerkonserve zu machen und die Brauereien folgen willig.

Die gängigen Verkostungsschemata bewerten Gärungsnebenprodukte nahezu ausnahmslos als Geschmacksfehler.

Weine ohne Gärungsnebenprodukte werden üblicherweise ohne Markennamen mit Schraubverschluss verkauft oder zu Weinschorle oder Weinessig verarbeitet.

Der Weinkenner hingegen genießt voller verzücken hohe Diacethylgehalte in seinem teuren Burgunder und hat eine blumige Fachsprache für allerlei Gärungsnebenprodukte entwickelt, für die ein Braumeister - würde man sie in seinem Bier finden - fristlos entlassen oder gar gesteinigt werden würde.

Farbpsychologen haben erkannt, dass Bieretiketten bevorzugt folgende Farbzusammenstellung haben sollten:
· weiß für Reinheit
· grün für Natur
· gold oder silber für Wertigkeit.
Deutsche Bieretiketten werden dementsprechend auch meist recht langweilig gestaltet.

Weizenbier in B.C. Kanada; Amerikanisiertes Weizenbieretikett

Etikett wird als „zu deutsch“ empfunden

Old English Porter - 19°P, 8,5 % Alkohol, 35 EBC Farbeinheiten, 50 EBC Bittereinheiten (!); dunkel-blauviolettes Etikett entspricht Verbrauchererwartung

Bier zur deutschen Einheit, Sonderabfüllung für Haus der 131 Biere

Die verbotene Frucht, Starkbier aus Belgien (Foto: Haus der 131 Biere)

Schwarze Sau; Bockbieretikett DDR; Pfanne mit direkter Kohleheizung; Kühlschiff

Schwarze Sau in der Variante nach der Wiedervereinigung; Herstellung: „mit heimischer Kohle feuergekocht“, wird werbetechnisch nicht genutzt

Vor etwa 20 Jahren war in einer Autozeitung zu lesen, dass zukünftig alle Autos mehr oder weniger gleich aussehen würden, da es natürlich nur eine einzige ideale Form geben könne und sich deshalb die Hersteller dieser einen idealen Form immer weiter annähern müssten. Man beschrieb die zukünftige Form, als zwischen Daumen und Zeigefinger leicht zusammengedrücktes, weichgekochtes Ei.

Offensichtlich fahren wir heute nicht in „weichgekochten Eiern“ umher. Die erfolgreichsten Automobilhersteller zeigen Individualität. Sie sind eine Marke und als genau diese Marke, unverwechselbar erkennbar.

Am 1. Januar 2005 (Quelle: Kraftfahrtbundesamt) waren in Deutschland 45.375.526 PKW zugelassen, davon waren 2,1 % Geländewagen und davon war am häufigsten der Toyota RAV 4 mit relativ 9,3% am Segment d.h. absolut mit ca. 0,2 % Marktanteil vertreten.

Laut Barth Hopfenbericht betrug die Bierproduktion in Deutschland im Jahre 2004 ca. 105.000.000 hl., 0,2 % würden hiervon etwa 200.000 hl entsprechen. Dies ist eine Nische die groß genug ist, das auch Großbrauereien darüber nachdenken, sie zu besetzen.

Für die meisten deutschen Brauereien ist es erstrebenswert möglichst helle, neutral schmeckende Biere, mit eher geringer Bittere zu produzieren. Bei der biologischen Haltbarkeit haben wir inzwischen schon eine Dauerkonserve, die chemisch-technische Haltbarkeit ist selbst für Gelegenheitsbiertrinker und unorganisierte Einzelhändler ausreichend. Die Geschmacksstabilität ist inzwischen relativ gut, da es ja hier immer weniger zu stabilisieren gibt. Wobei jedoch das angegebene Mindesthaltbarkeitsdatum im Verhältnis zur tatsächlichen Geschmackshaltbarkeit frei erfunden zu sein scheint. Ähnlich wie bei aspartamhaltigen Erfrischungsgetränken, neigt der Verfasser dazu, die Geschmacksstabilität so zu betrachten, dass wenn über 90 % der ungeschulten Testpersonen einen Unterschied zwischen dem frischen und dem gealterten Produkt eindeutig schmecken können, das Produkt als geschmacklich nicht mehr akzeptabel eingestuft wird. Bei aspartamhaltigen Limonaden am Ende der Mindesthaltbarkeit (bei Lagerung unter Zimmertemperatur) liegt dieser Wert regelmäßig bei über 99 %.

G. Sommer hat einmal bei einem Vortrag die Behauptung aufgestellt, dass ein Großteil der Konsumenten einen Oxidationsgeschmack nicht von Vollmundigkeit unterscheiden könnten. Er schlug vor, insbesondere alkoholfreie Biere bewusst mit Luft zu beaufschlagen und in einer KZE zu oxidieren. Die darauffolgende Diskussion der Brauereifachleute kam einer Steinigung gleich.

Tropenfeste Biere haben sehr häufig einen Pasteurisations- und einen Oxidationsgeschmack. Dieser Geschmack, der einem geschulten Tester einen Eisschauer über den Rücken laufen lässt, lässt eine nicht unbedeutende Anzahl von „Bierkennern“ ins schwärmen geraten, sie sprechen von kernigen, echten, gehaltvollen Bieren.

Der große Erfolg von Weizenbier ist sicherlich darauf zurück zuführen, dass Kunden auch einmal einen anderen Geschmack haben wollen.

Einige sehr große, ausländische Brauereikonzerne produzieren ganz bewusst Biere mit einem „Fehlaroma“. Die technische Ausstattung, Biere z.B. mit hohen Diazethylgehalten zu produzieren, ist in allen modernen Brauereien vorhanden.

Als Ende der 70er Jahre die Brauereien die Hauptgärung auf zylindrokonische Tanks umstellten, enthielten sehr viele Biere sehr hohe Gehalte an Diazethyl. Dies waren nicht nur kleine, regionale Brauereien sondern darunter befand sich auch eine Brauerei, die heute zu den 5 größten Brauereien Deutschlands zählt. Viele Konsumenten haben diese Geschmacksveränderung nicht oder zumindest nicht negativ wahrgenommen. Eine große, international tätige, europäische Brauerei hat bis in die 90er Jahre hinein ihr „Diazethylbier“ sehr erfolgreich auch in Deutschland verkauft. Bei Verkostungen gibt es immer eine Gruppe von mindestens 5 % die diazethlhaltige Biere bevorzugen. Wobei hier nicht die Rede ist von Diazethylgehalten knapp oberhalb des Geschmacksschwellenwertes von 0,05...0,12 sondern von deutlich höheren Konzentrationen von 0,30 bis 0,45 ppm. Biere mit Diazethylgehalten von über 0,30 ppm können mind. 95% einer Gruppe ungeübter Verkoster von einem diazethylfreien Bier deutlich unterscheiden. Neben Diazethyl lassen sich auch bestimmte andere „Fehlaromen“ in jeder Brauerei erzeugen. Dimethylsulfid sollte ebenfalls kein Problem darstellen. Die liefernde Mälzerei wird möglicherweise etwas verwirrt reagieren, wenn man entsprechendes Malz bestellt. Häufig wird das vorhandene Malz jedoch schon ausreichen, wenn man die Verdampfung während des Würzekochens eliminiert. Auch hier wird man ähnliche statistische Ergebnisse erhalten, fast alle Konsumenten können den Unterschied erkennen und eine kleine Gruppe findet diesen Geschmack toll.

Einige Gärungsnebenprodukte lassen sich in höheren Konzentrationen nur erzeugen, wenn man die notwendige maschinelle Ausrüstung hat. Insbesondere Ester, die im Rotwein einen sehr großen Teil der Qualität ausmachen, lassen sich bei größeren Drücken - wie sie zwangsläufig in höheren Gärtanks entstehen - kaum erzeugen. Für einen geringen statischen Druck benötigt man eine geringere Flüssigkeitssäule im Tank. Es gibt große Brauereien, die für einige Biersorten, ganz bewusst aus diesem Grunde, entsprechende Tankgruppen betreiben.

Malzbier oder Nährbier hat das Image für Kinder oder werdende Mütter hergestellt zu werden, so dass im Restaurant zweimal nachgefragt wird, falls ein erwachsener Mann ein solches Bier für sich bestellt. Malzbier, insbesondere die Varianten mit Alkoholgehalten von 1,5 bis 3,0 Prozent werden von einer großen Gruppe von Personen geschmacklich äußerst positiv beurteilt, sie würden sich nur nicht trauen, ein solches Bier zu bestellen. Wenn man ein „Malzbier“ als relativ helle, maximal bernsteinfarbene Variante mit obengenannten Alkoholgehalt einbrauen würde, müsste man dieses Produkt nur entsprechend vermarkten, denn schmecken würde es der Mehrheit der Konsumenten.

Die Ausstattung und der Marktauftritt müssen zur Zielgruppe und zum Produkt passen. Je eigenartiger das Bier, desto kleiner und spezieller darf die Zielgruppe sein. Es gibt bestimmte Teile, mit denen prahlt man nur, wenn sie besonders groß sind, der Alkoholgehalt gehört hierzu. Niedrige Alkoholgehalte darf man ruhig verschweigen; denn wenn man den niedrigen Alkoholgehalt eines Bieres in den Vordergrund stellt, wird man damit eine ganz bestimmte Zielgruppe ansprechen. Die Frage ist nur, ob diese Zielgruppe gewünscht ist?

Andere Biere, müssen auch ein anderes Etikett haben. Mit dem Etikett verbindet der Verbraucher eine bestimmte Erwartung. Bei den meisten Bieren hat er gelernt, dass der Inhalt, unabhängig von der Ausstattung, sehr ähnlich schmeckt.

Obwohl die Produktentwicklung im Qualitätsmanagementsystem vieler Brauereien festgelegt ist, wird externe Hilfe für die Entwicklung neuer Biere benötigt. Da die Ressourcen der Brauereien, im Gegensatz zu denen der Politikern, begrenzt sind, sollte die maximale Wirkung mit dem geringstmöglichen Einsatz erzielt werden.

So wie das Medieninteresse an einer Atlantiküberquerung mit dem Flugzeug seit Charles Lindbergh doch deutlich abgenommen hat, so sinkt auch das Interesse an noch einem feinherben Premium Pils.

 

 

 

 

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© 2005 by Raimund Kalinowski